Welche Auswirkungen die Ökonomisierunguf unsere Gesellschaft hat
von laura wolf
Innerhalb der Veranstaltungsreihe „Über die Welt und Gott“ fand in der CityKirche Elberfeld ein Vortragsabend mit anschließendem Gespräch über das Thema „Ökonomisierung und soziale Gerechtigkeit“ statt. Die Vortragsreihe beschäftigt sich mit den Fragen, inwiefern sich die Gesellschaft verändert, wie wir uns das Zusammenleben in der Zukunft vorstellen und ob Wachstum auch gleichzeitig Wohlstand bedeutet und wie sich dieser Wohlstand auf die Gesellschaft auswirkt. Der Philosoph Dr. Simon Derpmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Volkswirt Prof. Dr. Hans Frambach der Bergischen Universität Wuppertal stellten sich diesen Fragen in ihren jeweiligen Impulsvorträgen und versuchten, auch die Haltung der Kirche in Bezug auf die Ökonomisierung im anschließenden Gespräch mit einzubeziehen.

Prof. Dr. Frambach
Der Neoliberalismus als Auslöser der heutigen marktwirtschaftlichen Situation
Dr. Derpmann setzt sich mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit und der Ökonomisierung unter Einbezug des Neoliberalismus auseinander. Der Begriff des Neoliberalismus ist in den letzten 10 Jahren innerhalb der Literatur aufgekommen. Dieser definiert den Markt als das einzige legitime Ordnungsprinzip ökonomischer Koordination und den Übergang von der Marktwirtschaft zur Marktgesellschaft und wurde von Friedrich August von Heidek begründet. Die Märkte sollen somit nicht bloß als komplexe Systeme, sondern als eigenständige Erkenntnisquellen gesehen werden. Dadurch soll ausgesagt werden können, wie wertvoll etwas ist, sodass es ohne Märkte keine Werte geben würde. Derpmann kritisiert den Neoliberalismus sehr stark, weil sowohl das Einkommen wie auch die Chancen ungleich verteilt werden, sodass der Glauben in die Geltung der öffentlichen Vernunft unterminiert wird. Dadurch fühle sich ein Teil der Gesellschaft zurückgelassen, was man unter anderem am Ergebnis der Bundestagswahlen im September erkennen könne. Er sieht die einzige Chance in der Skepsis gegenüber dem Neoliberalismus, sodass sich eine Form der sozialen Gerechtigkeit bilden kann. Inwiefern dabei jedoch die Kirche eine Rolle spielt, ist bis zum Ende seines Vortrags offen geblieben, sodass der Bezug zum Oberthema „Über die Welt und Gott“ leider fehlte.

Dr. Simon Derpmann
Die Einigkeit des Papstes und der Ökonomen
Prof. Dr. Frambach hat beim Thema der Ökonomisierung und sozialen Gerechtigkeit einen sehr starken Bezug zur Kirche genommen. Sie versucht seiner Ansicht nach einen Mittelweg zwischen dem Markt und dem Sozialismus zu finden, wodurch sich die Kirche offiziell zum Markt bekennt. Sie will vor allen Dingen versuchen, die negativen Auswirkungen des Markts einzugrenzen. Frambach nimmt in erster Linie Bezug auf die Sozialenzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015. Dieser beschreibt die Ökonomisierung als einen Ausschluss der Gesellschaft, da der Lebensstil der reichen Nationen nicht mehr länger tragbar ist. Er sieht es als einfach an, auf den Markt mit seinen vielen Verführungen zu verweisen und appelliert daran, dass man sich wieder der zentralen Grundwerte, also Freiheit, Gleichheit etc., nach denen wir leben sollen, bewusst wird. Frambach sieht hier jedoch Anlass zur Kritik: War früher wirklich alles besser? Sind die Menschen nicht auch schon früher (materialistisch) allein gelassen worden? War das Elend früher anders als heute? Jedoch gibt es auch Punkte, bei denen Frambach dem Papst zustimmt: die minimale und effiziente Einsetzung von Ressourcen sowie die Unmöglichkeit der Fortführung des wirtschaftlichen Niveaus. Als Ziele der „Laudato si“ sieht er zum einen die Verbesserung der Umwelt und die Verbesserung der Situation der Armen.
Den Einbezug der Sozialenzyklika und die Zuhilfenahme dieser bei der Argumentation in Bezug auf die Ökonomisierung war sehr gut nachvollziehbar und dem Thema durchaus angemessen, sodass eine klare Position seitens Frambach deutlich wurde.
Die Beeinflussung durch den Markt
Das anschließende Gespräch hat aufgezeigt, wie nah sich die Positionen von Frambach und Derpmann sind. Am Anfang bin ich davon ausgegangen, dass die beiden Positionen sehr unterschiedlich ausfallen würden und die Bewertung der Ökonomisierung und sozialen Gerechtigkeit äußerst differiert; allerdings wurde beim Gespräch das Gegenteil gezeigt. Beide sind der Meinung, dass wir den Märkten nicht den Wertdiskurs überlassen sollten und auch den Ökonomen nicht zu viel Macht darüber geben, wie beispielsweise ein gutes Einkommen definiert wird. Auch sehen sie die Schere der Vermögensverteilung als so ungleich wie nie zuvor an. Das Marktsystem würde ihrer Ansicht nach funktionieren, wenn die „wahren Werte“ zur Geltung kommen würden und sich der Mensch nicht an die Vorteile des Markts gewöhnt, sondern an den richtigen Stellen einschränkt. Bei der letzten Frage, welches Thema im Vordergrund der sozialen Gerechtigkeit vor allen Dingen in Bezug auf die Rolle der Kirche steht, sind sie sich ebenfalls einig: die Nächstenliebe.
Ich habe den Vortrag hinsichtlich des komplexen Themas als sehr interessant und lehrreich empfunden. Es wurden viele Themen angesprochen, die ich mit der Ökonomisierung nicht direkt verbunden hätte, jedoch sind dadurch die vielen Facetten deutlich geworden. Der Einbezug der Kirche fehlte mir allerdings an einigen Stellen. Vor allen Dingen die Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und Kirche mit dem fast lapidar daher gesagten Begriff der Nächstenliebe fand ich sehr schade und ich hätte mir in diesem Punkt mehr Erörterung gewünscht.
Weitere Informationen zum Thema:
Veröffentlichungen Dr. Frambach
Veröffentlichungen Dr. Derpmann
Handbuch der Wirtschaftssoziologie
_________________________________________
Laura Wolf, 24, studiert im Master Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Bergischen Universität Wuppertal