Von Sebastian Schulz

„Eigentlich müssten in Deutschland im Hinblick auf die Umstände alle Warnleuchten blinken“, erklärt Dr. Matthias Küntzel, als er die Zusammenfassung seines neuesten Werkes „Nazis und der Nahe Osten“ beginnt. Dass wir uns in der Bundesrepublik allein schon mit Antisemitismus auseinander setzen müssen, ist bereits lange und zuletzt auch durch den Anschlag in Halle deutlich geworden. Das allein wäre bereits prekär genug, doch nach Generationen der Zuwanderung unter anderem aus dem Nahen Osten müssen wir feststellen, dass in Teilen eine Art von Antisemitismus wieder erstarkt, der in seiner Rhetorik auch Wurzeln in der Propaganda des „Dritten Reichs“ hat.

Wenn einzelne Muslime gegen Juden hetzen, wird das gerne mit einer grundsätzlichen, religiösen Ablehnung begründet, die historisch nicht weit vom Antijudaismus christlicher Prägung entfernt liegt. Sieht man sich die Jahrhunderte an, in denen Juden zwar nicht uneingeschränkt, jedoch in Koexistenz in muslimischen Herrschaftsgebieten lebten, fällt es schwer zu glauben, dass muslimische Judenfeindlichkeit eine tatsächliche Tradition im religiösen Sinn darstellt. Die Rhetorik mancher Islamisten ähnelt in diesem Zusammenhang oft eher einer fast schon genetisch abwertenden Zuordnung von Menschen jüdischen Glaubens, die der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes nahe steht.

Dr. Matthias Küntzel während der Lesung (Bild: Sebastian Schulz)

Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel belegt diese Verbindung in seinem Buch sogar mit Quellen, die eine enge Zusammenarbeit des nationalsozialistischen Propagandaapparates unter anderem mit dem judenfeindlich geprägten Mufti von Jerusalem Mohammed Amin el-Husseini seit 1937 unterstreichen. Auch die versuchte Indoktrinierung von muslimischen Waffen-SS Soldaten durch antisemitische Pamphlete und sogar mit arabischsprachigen Radiosendungen ab 1939 – veröffentlicht über Sendemasten in Zeesen bei Berlin – sind in einer Fülle von Quellen nachweisbar. Dass derartige Radiosendungen aus dem Raum Berlin kamen, vertuschten die Nationalsozialisten durch einheimische Moderatoren, die in ihren Dialekten kaum nachzuahmen waren. Das Ziel dahinter war nicht kompliziert. Denn es galt die muslimische Welt gegen die Kriegsgegner, aber vor allem gegen die Propagandafeinde in Form jüdischer Menschen aufzubringen. Doch was haben diese Aktionen der Nazis mit der heutigen Zeit zu tun?

Die Problematik stellt Matthias Küntzel wie folgt dar: Wenn auch der Judenhass bzw. der folgende Antisemitismus kein allgemein gültiges Konzept im Nahen Osten darstellte, setzte sich die Rhetorik und die Propaganda der Nazis in Teilen fest. Noch nach Ende des „Dritten Reiches“ nutzten Antisemiten jene Thesen, um einen Kampf gegen den Aufbau des Staates Israel zu legitimieren. Die antisemitische Propaganda, die bereits Jahre zuvor einsetzte, passte in das Weltbild der Koalitionen gegen Israel. Die Vorstellungen eines legitimierten Tötens von Juden oder sogar die Rede einer Vernichtung wurden in einigen Teilen zu einem akzeptierten Bild. Insbesondere islamistische Gruppierungen sind durch eine gute mediale Aufstellung in der Lage, einen muslimischen Antisemitismus in verschiedensten Gruppen zu verbreiten. Nicht zuletzt ist das durch die Migrationsbewegungen aus dem arabischen Raum der letzten Jahrzehnte nach Europa und Deutschland auch ein hiesiges Thema geworden. „Der muslimische Antisemitismus schwappt nun quasi zurück nach Europa“, beschreibt Matthias Küntzel.

In Deutschland sei das laut Küntzel trotz Antisemitismusforschung ein wenig beleuchtetes Gebiet. Sein Werk begründet er vor allem damit, „dass die Forschungseinrichtungen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, wie das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, diese Aufgabe einfach nicht wirklich übernimmt, also den islamischen Antisemitismus mal zu definieren und Schlussfolgerungen zu ziehen“.

Dr. Matthias Küntzel im Interview.

Die Thematik polarisiert, vor allem weil oft das Bild einer Verallgemeinerung aufzukommen scheint oder ein Forschungsdiskurs mit einer Parteinahme im Nahost-Konflikt in Einklang gebracht wird. Doch schließlich kann belegt werden, dass antisemitische Propaganda mit nationalsozialistischer Prägung im Nahen Osten noch deutlich vor der Gründung eines Staates Israel seinen Anfang nahm.


Die Lesung mit anschließendem Diskurs wurde ermöglicht durch die Kooperation des Katholischen Bildungswerks Wuppertal Solingen Remscheid und der Begegnungsstätte Alte Synagoge.

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